Der Begriff Antisemitismus hat zur Zeit Hochkunjunktur. Nach dem Vortrag von Jeff Halper im November 2017, der von der Heidelberger Palästinainitiative zusammen mit unserem Verein organisiert wurde, wurde in der RNZ gegenüber Jeff Halper und den Veranstaltern ebenfalls der Antisemitismusvorwurf erhoben. Das hat den Vorstand veranlasst, das untenstehende Papier zu erarbeiten.

Hochkonjunktur für den Antisemitismus-Vorwurf – in wessen Interesse?

Seit Jahren arbeiten wir am Thema Israel/Palästina in der Öffentlichkeit. Unser Ziel ist es, auf die Lage im Nahen Osten aufmerksam zu machen, die Entwicklung zu verstehen und so einen Beitrag zu einer friedlichen Lösung zu leisten. Wir wenden uns an unsere eigene Gesellschaft und die gewählten politischen Repräsentanten. Wir arbeiten permanent mit Friedensaktivist/innen Israels und Palästinas zusammen. Viele von uns gehören zu der Generation, die die „Unfähigkeit zu trauern“ durchbrochen haben. Wir haben die Lektion aus der Geschichte des deutschen Faschismus gelernt und gelehrt. Viele halfen in Israel in den Kibbuzim, waren beteiligt an der Aktion der Pflastersteine, sorgten für Erinnerung an ehemalige Synagogen und die Deportation, besuchten mit Schulklassen Konzentrationslager.

Die Lektion aus der jüngeren deutschen und europäischen Geschichte kann nur sein: Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg. Lösen wir Konflikte und Interessensgegensätze im geduldigen Dialog und im gegenseitigen Respekt. Achten wir die Menschenrechte.

Wir schicken das voraus, weil wir bei unserem Anliegen eines Friedens im Nahen Osten immer bestrebt sind, diese Werte zu beachten. Wir erkennen nach den Verbrechen des deutschen Faschismus selbstverständlich das Existenzrecht Israels an. Wir erkennen ebenso das Existenzrecht der Palästinenser auf demselben Territorium an. Wie soll Frieden anders möglich sein? Wir bemühen uns um einen Ausgleich – historisch, aktuell politisch, gewaltfrei, versöhnlich. Wir tun das mit unseren Möglichkeiten an unserem Platz in unserer Zeit.

Dabei werden unsere Initiativen seit Jahren an dieser konstruktiven Arbeit behindert: Bundesweit werden in einigen Großstädten Ausstellungs- und Veranstaltungsorte aufgekündigt, Veranstaltungen gestört. In letzter Zeit wird zunehmend der Versuch unternommen, die Vergabe von öffentlichen Räumen für unser Anliegen zu blockieren. Als einzige Begründung für diese Blockadepolitik wird immer inflationärer der schwerwiegende Vorwurf des „Antisemitismus“ gegen uns erhoben.

Es wäre erstens zu klären, warum dieser Vorwurf erhoben wird.

Und es ist zweitens zu klären, welche Interessen hinter diesem Vorwurf stehen.

Erstens:

Der Vorwurf des Antisemitismus disqualifiziert denjenigen, gegen den er erhoben wird, als Rassisten und rückt ihn in das ideologische Umfeld des Faschismus. Die nächste Stufe wäre der Straftatbestand der Volksverhetzung, die staatsanwaltschaftlich bearbeitet werden müsste. Wer uns in diese Ecke manövrieren will, enthebt sich auf bequeme Art der Mühe, sich intellektuell mit uns auseinanderzusetzen. Das kann zwei Gründe haben. Zum einen kann es sein, dass unsere Argumente und unsere Werte nicht einfach anzugreifen und zu widerlegen sind. Zum anderen kann es sein, dass eine geistige Auseinandersetzung zumal in der Öffentlichkeit, unsere Arbeit bekannter machen und eventuell überzeugender wirken lassen würde, als es unseren Antipoden  recht ist.

Zweitens:

Damit stellt sich die Frage, welche Interessen hinter dem grobschlächtigen Vorwurf des „Antisemitismus“ stehen. Es gibt einen Konsens in der aktuellen deutschen, europäischen und UN-Politik, die die Politik der israelischen Regierungen seit Jahren auf die Völkerrechtswidrigkeit und Illegalität der Besiedlung des seit 50 Jahren besetzten Westjordanlandes hinweist. Diese Besiedlung ist einer der bedeutenden Gründe, warum Friedensverhandlungen nicht in Gang kommen. Diesen Konsens teilen auch wir und weisen in unserer Öffentlichkeitsarbeit immer wieder darauf hin. Wir weisen auch hin auf den asymmetrischen Krieg, durch den Israels Militärpolitik das Leben der Palästinenser täglich erschwert und terrorisiert. Der palästinensische Terror ist deshalb gewiss nicht gerechtfertigt, aber leider ein Ausdruck der Ohnmacht und Verzweiflung. Wir sind überzeugt, die palästinensische Bevölkerung sehnt sich in ihrer Mehrheit ebenso nach Frieden wie die Mehrheit der Bevölkerung Israels. Und dennoch gibt es Kräfte seitens der ultrareligiösen Gruppen und der Siedlerpartei, die auf eine militärische „Lösung“ und auf die Annexion des Territoriums Palästinas bis zum Jordan setzen, das ihnen als Stammland zustünde. Dass jedoch durch Unterdrückung eine Befriedung der dort lebenden Menschen und der Interessensgegensätze herauskommen kann, ist realpolitisch nicht vorstellbar. Die Politik der israelischen Regierung ist in dieser Frage destruktiv. Und das wird auch international so gesehen. Die EU-Agentur für Grundrechte (FRA) sieht z. B. in der Boykott-Desinvestment-Sanktionen-Kampagne (BDS) ein legitimes Mittel, von Israels Politikern die Einhaltung des Völkerrechts einzufordern. Das kann nicht als „antisemitisch“ geschmäht werden. Wer unsere öffentliche Kritik an der israelischen Regierungspolitik als „Antisemitismus“ diffamiert, hat klare Interessen Unrecht zu vertuschen. Denn Kriege werden auch in den Köpfen der Menschen gewonnen oder verloren. Ob es sich beim Patriotismus unserer Antipoden um echte Überzeugung oder beeinflusste Ignoranz handelt, wissen wir nicht, da sie leider nicht mit uns reden. Sie wollen uns sogar an der Ausübung unserer Friedensarbeit hindern. Sonst würden wir sie gerne fragen, was sie selbst für die Einhaltung der Menschenrechte im Konfliktgebiet Naher Osten tun. Wie sie sich eine Friedenslösung vorstellen und auf welchem Weg diese zu erreichen wäre. Wir würden sie fragen, ob ihre berechtigten Sicherheitsinteressen auch für „Araber“, wie sie die Palästinenser nennen, gelten. Oder ob sie fortfahren wollen, dass der palästinensischen Bevölkerung alles Lebenswichtige – Wasser, Strom, Wirtschaft, Hausbau, Verkehr, Finanzen und Recht – durch israelische Besatzungsmacht blockiert und sanktioniert wird, wie seit 50 Jahren schon?!

Fazit:

Aktuell wird der Versuch gemacht, unsere Friedensarbeit als „linken Antisemitismus“ zu diffamieren. Wer diesen Versuch unternimmt, nimmt dabei billigend in Kauf, dass der Begriff inflationär entwertet wird und die Geschichte der Judenverfolgung unverantwortlich verfälscht. Das ist intellektuell unredlich und im Ergebnis sehr gefährlich. Es kann nicht sein, dass das Eintreten für Menschen- und Völkerrecht als Rassismus pervertiert wird, nur weil der Vorwurf ins politische Kalkül passt, unliebsame Andersdenkende mundtot zu machen. Der Vorwurf des „Antisemitismus“ wird so zur Phrase missbraucht. Von dieser unlauteren Vorgehensweise werden wir uns nicht aufhalten lassen. Vom Rassismus jeglicher Form distanzieren wir uns entschieden.

Bildung und Begegnung Palästina e.V. Wiesloch

  1. Januar 2018 Der Vorstand