Im Heft 2/2022 von „Im Land der Bibel“ gibt es zwei Beiträge zu den Positionen im Ukrainekrieg, in Israel und in Palästina, verfasst von Dr. Peter Lintl bzw. Dr. Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Hier die gekürzten Beiträge :

Israel – ein Balance-Akt
: Israel steht wegen des Krieges in der Ukraine vor einem Abwägungsproblem. Gefragt ist ein Ausgleich zwischen der moralischen Verortung bei den westlichen Demokratien, realpolitischen Herausforderungen in der Region und Erwartungen des Bündnispartners USA. So hat die Biden-Regierung ebenso wie die republikanische Opposition mehrmals angemahnt, Israel solle klarer Stellung zugunsten der Ukraine beziehen : Es gebe hier eine richtige und eine falsche Seite. Die Mehrheit der Israelis sympathisiert mit der Ukraine. Ambivalente Positionen, meist verbunden mit Kritik am Westen, finden sich lediglich am linken und rechten Rand des politischen Spektrums, zudem in Teilen der russischsprachigen Gemein-schaft. Gleichzeitig ist die Mehrheit der Bevölkerung dafür, sich bei diesem Thema nicht eindeutig ins westliche Lager zu stellen. Dies geht vor allem auf Russlands Präsenz in Syrien und seine Kontrolle über den dortigen Luftraum zurück. Israel hat ein strategisches Interesse daran, Luftschläge ausführen zu können, die verhindern, dass Iran seine Einflusszone in Syrien erweitert. Israel muss faktisch für solche Angriffe das Einverständnis Moskaus einholen. Bisher erlaubte dieser „Balanceakt“ Israel eine weitgehende Neutralität im Ukrainekrieg. Im Verlauf des Kriegs leistete Israel zivile Hilfe für die Ukraine, beteiligt sich aber noch immer nicht an Sanktionen gegen Russland und verweigert bis jetzt Militärhilfe für die Ukraine. Erst im Zuge der fortschreitenden Kriegshandlungen übte der damalige Außenminister Lapid stärker Kritik an Russland. U.a. stimmte Israel dafür, Russland aus dem UN-Menschen-rechtsrat auszuschließen. Im Gegenzug bestellte Russland den israelischen Bot-schafter ein und kritisierte die illegale Besatzung und schleichende Annexion der Palästinensergebiete.

Palästina – Keine Seite verärgern
: Trotz des europäischen und US-amerikani-schen Drängens hat die palästinensische Führung in Ramallah die russische Invasion der Ukraine nicht verurteilt. Vor dem Hintergrund ihrer ausgeprägten Außenabhängigkeit versucht die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) ihre eigenen Interessen zu wahren und weder die EU und die USA noch Russland zu verärgern. Denn einerseits kann sie nicht auf westliche Finanzhilfen verzichten. Andererseits pflegt sie enge, historisch gewachsene Beziehungen mit Moskau und schätzt Russland als zuverlässiges Gegengewicht zu den israelfreundlichen USA. Zudem ist sie auf Weizenimporte aus Russland angewiesen. Daher haben sich auch die De-facto-Regierung in Gaza und die Hamas-Führung auf eine „Politik der Nicht-einmischung“ festgelegt. Einer der Beweggründe dafür ist eine Erfahrung aus dem Arabischen Frühling : Damals unterstützte die Hamas die syrische Protestbewegung, woraufhin ihr Hauptquartier in Damaskus geschlossen wurde. Die Positionierung der Führungen wird von der Bevölkerung weitgehend geteilt : Im März 2022 sprachen sich in einer repräsentativen Umfrage 71 Prozent für eine neutrale Haltung der PA aus. Und das, obwohl sich die palästinensische Zivilgesellschaft stark mit der Situa-tion der ukrainischen Bevölkerung identifiziert. Palästinensische Zivilgesellschaft und offizielle Politik kritisieren gleichermaßen die „Doppelzüngigkeit des Westens“ : Während dieser den ukrainischen Widerstand gegen die russische Invasion als heldenhafte Selbstverteidigung feiere, werde der palästinensische Widerstand gegen Israels Besatzung und Diskriminierung als terroristisch diffamiert. Während er gegen Russland Sanktionen und einen weitgehenden Kultur- und Sportboykott verhänge, werde die BDS-Bewegung gegen die israelische Besatzung als antisemitisch denun-ziert und zunehmend kriminalisiert. Vom Westen werde der Internationale Gerichts-hof aufgefordert, Ermittlungen wegen vermuteter russischer Kriegsverbrechen in der Ukraine aufzunehmen, dagegen bemühten sich europäische Staaten, entsprechende Untersuchungen in Palästina zu verhindern. Letztlich gehe es bei dem Bekenntnis Europas und der USA zu Menschenrechten darum, geopolitische Interessen durch-zusetzen, nicht aber universelle Werte und Regeln.